Zerbrechliche Kostbarkeiten – Die Flechten auf den Felsen und Rosselhalden des Nationalparks Hunsrück-Hochwald
Von Dorothee Killmann, Burkhard Leh & Eberhard Fischer
Der Nationalpark Hunsrück-Hochwald zeichnet sich, neben den ausgedehnten Buchenwäldern und den faszinierenden Hangbrüchern, vor allem durch die offenen,
fast vegetationsfreien Quarzit-Blockhalden aus, die im Hunsrück auch Rosselhalden genannt werden. An ihren Rändern findet man einen ganz besonderen, sehr seltenen Vegetationstyp: den Karpatenbirken-Ebereschen-Blockwald (Matzke 1990).
Die Halden selbst sind seit der letzten Eiszeit waldfrei und besitzen eine nur sehr geringe Humus-Auflage, so dass sich nur wenige, spezialisierte Pflanzen darauf ansiedeln können. Auf den kargen, sonnigen Bereichen haben Flechten und Moose, die zu den Kryptogamen gehören, einen besonderen Rückzugsraum gefunden (John 1990, Killmann & Fischer 2016, Killmann & Leh 2016). Besonders schöne und gut
ausgeprägte Rosselhalden finden sich zum Beispiel an der Mörschieder Burr (Abb. 1), dem Keltischen Ringwall (Abb. 2) und am Silberich. Aber auch anstehende Felsen, wie zum Beispiel der Hohenfels (Abb. 3), sind wichtige Habitate für seltene Flechten.
Zu den auffälligen, leicht erkennbaren Arten dieser Standorte gehören die dichten weiß-gelblichen Polster der Wald-Rentierflechte (Cladonia arbuscula, Abb. 4) und die hellgelben Krusten der Gewöhnlichen Landkartenflechte (Rhizocarpon geographicum, Abb. 5). Beide Arten finden sich relativ verbreitet auf fast allen Rosselhalden des Nationalparks. Ein besonderes Habitat, die Stirnflächen von exponierten Felskuppen, besiedelt zum Beispiel die charakteristische Pustelflechte (Lasallia pustulata, Abb. 6). Sie gehört zu der Gruppe der sogenannten Nabelflechten, da sie nur mit einer Stelle, dem Nabel, an der Unterlage festgewachsen ist. Die Art heißt deshalb Pustelflechte, weil sie auf der Oberseite zahlreiche größere und kleinere Aufwölbungen ausbildet. Besonders schön ausgeprägte Bestände finden sich auf den Felsen am Silberich und an der Kirschweiler Festung. Eine besonders bemerkenswerte und sehr seltene Flechte ist der Korallen-Kugelträger (Sphaerophorus globosus, Abb. 7), der in Rheinland-Pfalz aktuell nur aus dem Hunsrück bekannt und vom Aussterben bedroht ist. Im Nationalpark ist er extrem selten und wächst in schattigen, nordexponierten Bereichen. Der Korallen-Kugelträger ist ein Indikator für naturnahe Standorte in niederschlagsreichen Lagen. Vor wenigen Jahren konnte bei Untersuchungen von Flechten im Nationalpark sogar eine bislang unbekannte Flechtenart nachgewiesen werden, die zu Ehren des Nationalparks Hunsrück-Warzenflechte (Verrucaria hunsrueckensis, Abb. 8) genannt wurde. Diese Art ist auf schattige Felsstandorte angewiesen und konnte nur einmal in einem kleinen Naturwaldreservat gefunden werden. Sie ist damit hochgradig gefährdet (Killmann 2018, Thüs et al. 2018, vgl. auch Wirth et al 2011, Wirth et al. 2013).
Viele Flechten und Moose sind sogar vom Aussterben bedroht (vgl. Wirth et al. 2011). Daher sind die kryptogamenreichen Gebiete generell schützenswert und vor allen schädlichen Einflüssen zu bewahren. Dies gilt auch für die im Nationalpark vorkommenden freistehenden Felsen und die Rosselhalden. Im Gegensatz zu abseits gelegenen und damit weniger beeinträchtigten Lokalitäten (z.B. Bösclausfelsen, Fraufelsen) sind exponierte Standorte in von Touristen stark frequentierten Bereichen (z.B. Silberich, Mörschieder Burr, Keltischer Ringwall) potentiell gefährdet. So liegen viele Vorkommen von besonders bedrohten Arten, wie z.B. vom Korallen-Kugelträger oder der Pustelflechte, direkt am Saar-Hunsrück-Steig in der Nähe von Ruhebänken. Daher ist es wichtig, das generelle Betretungsverbot der freien Felsflächen und Rosselhalden zu beachten und durchzusetzen (vgl. auch Killmann & Fischer 2003).
Wie sich die Flechtenvegetation durch einen zu hohen Besucherandrang verschlechtert, zeigt sich sehr eindrücklich am Beispiel der Mörschieder Burr: Bis zum Jahr 2020 waren die Wege über die Rosselhalde, insbesondere an der Aussichtsstelle, nicht durch eine Absperrung abgetrennt. Hier zeigte sich, dass viele Erholungssuchende und Wanderer das Betretungsverbot bewusst oder unbewusst missachteten, indem sie zum Beispiel die Steine am Wegrand für eine Erholungspause nutzten oder auch Steinmännchen bauten. Leider wurden dadurch jedoch viele Flechten und Moose zerstört, und die Steine machten einen fast blankgescheuerten Eindruck (Abb. 9.1). Inzwischen wurde hier eine Absperrung errichtet und eine Tafel mit der Aufforderung „Bitte nicht betreten“ angebracht (Abb. 9.2). Inzwischen haben sich die ersten Bestände von Moosen und Flechten leicht erholen können (Abb. 9.3). Bitte bleiben Sie daher auf den Wegen und genießen Sie von dort aus die wunderschöne Natur des Nationalparks, um die zerbrechlichen Kostbarkeiten der Rosselhalden dauerhaft zu schützen.
Dank
Die Forschungsarbeiten zu Flechten auf den Rosselhalden wurden von der
Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft (FAWF) in Trippstadt sowie
von Landesforsten Rheinland-Pfalz (Emmelshausen) finanziell unterstützt. Unser
besonderer Dank geht an Dr. Patricia Balcar (FAWF) und Claus-Andreas Lessander
(Landesforsten) für die konstruktive Zusammenarbeit und die Begleitung in die
Probeflächen. Wir danken Dr. Harald Egidi, Dr. Andrea Kaus-Thiel und Jan
Rommelfanger (Nationalparkamt Hunsrück-Hochwald) für ihr stetes Interesse an
unseren Forschungen sowie für logistische Unterstützung. Die SGD Nord (Koblenz)
sowie die FAWF in Trippstadt erteilten uns freundlicherweise die
Ausnahmegenehmigung zur Betretung der Flächen in den Naturschutzgebieten und
Naturwaldreservaten und zur Entnahme kleinerer Pflanzenproben.
Literatur
John, V. (1990): Atlas der Flechten in Rheinland-Pfalz. - Beiträge zur Landespflege
Rheinland-Pfalz 13 (1), 1-276, 13 (2), 1-272.
Killmann, D. (2018): Flechten der Naturwaldreservate Gottlob, Springenkopf und
Ruppelstein im Nationalpark Hunsrück-Hochwald. In: Biodiversität in Buchenwald-
Naturwaldreservaten. 30 Jahre nutzungsfreie Waldentwicklung. Zentralstelle der
Forstverwaltung, Trippstadt.
Killmann, D. & Fischer, E. (2003): Exponierte Felsstandorte in Westerwald und
Lahntal als Refugien seltener und gefährdeter Flechtenarten. Hessische Floristische
Briefe 52 (4), 77-86.
Killmann, D. & Fischer, E. (2016): Überlebenskünstler auf schroffem Fels. Die
Flechten der Rosselhalden des Nationalparks Hunsrück-Hochwald. Umweltjournal
59, 38 – 40.
Killmann, D. & Leh, B. (2016): Artenvielfalt und Monitoring von Flechten im
Nationalpark Hunsrück-Hochwald. Diversity and monitoring of lichens in the
Hunsrück-Hochwald National Park. Decheniana 169, 18-34.
Matzke, G. (1990): Der Karpatenbirken-Ebereschen-BIockwald — auch im
Rheinischen Schiefergebirge. Decheniana 143, 160 – 172.
Thüs, H., Killmann, D., Leh, B. & Fischer, E. (2018): Verrucaria hunsrueckensis
(Verrucariaceae, lichenized Ascomycota), a new rare species with exceptionally
slender ascospores from Germany. Phytotaxa 345 (1), 26-34.
Wirth, V., Hauck, M., von Brackel, W., Cezanne, R., de Bruyn, U., Dürhammer, O.,
Eichler, M., Gnüchtel, A., John, V., Litterski, B., Otte, V., Schiefelbein, U., Scholz, P.,
Schultz, M., Stordeur, R., Feuerer, T., Heinrich, D. (2011): Rote Liste und
Artenverzeichnis der Flechten und flechtenbewohnenden Pilze Deutschlands. -
Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (6), 7-122.
Wirth, V., Hauck, M & Schultz, M. (2013): Die Flechten Deutschlands. Band 1 und
Band 2, Ulmer-Verlag. 1244 S.
Autorinnen und Autoren
Dr. Dorothee Killmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Koblenz-
Landau am Campus Koblenz. Sie beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit der
Kartierung von Flechten und Moosen in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz.
Burkhard Leh ist freier Mitarbeiter der AG Botanik und Biodiversitätsforschung am
Campus in Koblenz. Er ist insbesondere für die technische Unterstützung der
Vegetationsaufnahmen und Monitoring-Flächen verantwortlich.
Prof. Dr. Eberhard Fischer ist Lehrstuhlinhaber für Botanik der Universität Koblenz-
Landau am Campus Koblenz. Moose, Flechten, Rotalgen, Farne und Blütenpflanzen
in Mitteleuropa, aber auch in Ruanda, Madagaskar, Äthiopien, Kenia und Uganda
stehen im Mittelpunkt seines Forschungsinteresses.